Und immer wieder sind die anderen schuld

 von Sabine Stadler.

Wahrscheinlich kennt jeder Zeitgenossen, die Fehler gerne anderen in die Schuhe schieben. Schuldzuweisungen sind beliebt, liefern sie doch immer gleich die “Ent-Schuldigung” mit und schaffen damit sofortige Erleichterung eines Zustands, der für manche Menschen unerträglich scheint: für sich selbst verantwortlich zu sein. Ein Blick sowohl in die Medien als auch in das eigene Umfeld lässt den Eindruck entstehen, die “Nicht-Schuldigen” seien auf dem Vormarsch.

Eigentlich freuten wir uns auf den Abend. Die Gruppe ehemaliger Studienkollegen hatte sich lange nicht gesehen. Einen Termin zu finden, zu dem alle kommen konnten, war nicht einfach gewesen. Auch die Entscheidung für ein Lokal war – verglichen mit früher – ungewöhnlich schwierig. Aber egal, die Freude auf das Wiedersehen überwog, allerdings mit einer kleinen roten Flagge im Hinterkopf: Florian würde auch dabei sein. Florian, der sich selbst als “Systemkritiker aus Leidenschaft” bezeichnete und den wir damals eher als Spinner gesehen hatten. Florian, der schon vor Jahren immer alles so hinbiegen konnte, dass er nie schuld an irgendetwas war. Florian, der immer und überall dabei war, ohne groß aufzufallen, der mitlief, allerdings langsam, weil er etwas behäbig war. Florian, der es immer wieder geschafft hatte, schlechte Stimmung zu verbreiten. Die Bedenken waren schnell zur Seite gewischt, schließlich ging es darum, zu zeigen, wie man sich weiterentwickelt hatte und zu sehen, was aus den Anderen geworden war. Der Abend war dann ganz nett – dieses “ganz nett”, das als Bewertung immer dann herhalten muss, wenn kein wirkliches Ergebnis, kein Erfolg, kein persönlicher Energiegewinn zu verzeichnen ist. Denn: Die Atmosphäre wurde maßgeblich geprägt durch Florian, der zwar weder beruflichen Erfolg noch privates Glück vorweisen konnte, dagegen aber eine Art Perfektion darin entwickelt hatte, andere dafür verantwortlich zu machen. Natürlich war auch der Zeitpunkt für ihn schlecht und das Lokal unter seinem Niveau.

Warum manche Menschen nicht schuld sein können

Woher kommt die Eigenart mancher Menschen, die Schuld für alles, was ihnen widerfährt, bei anderen zu suchen? Sich (und anderen) keinen Fehler einzugestehen, kein Wort der Entschuldigung über die Lippen zu bringen? Eigentlich sollte es das Normalste der Welt sein, Fehler machen und sie zu korrigieren zu dürfen. Trial and Error, beliebte Problemlösungsmethode, braucht den Fehler quasi als Voraussetzung für den Lerneffekt, allerdings gilt das offenbar nicht im (zwischen-)menschlichen Bereich.

Ausgangspunkt dieser “Schuldabweisungstendenz” ist in vielen Fällen das Selbstwertgefühl, in diesem Fall ein schwach ausgeprägtes. Ein potenzieller Fehler wird schnell für das eigene Selbst bedrohlich und muss geleugnet oder abgewendet werden. Nicht selten wird der Grundstein dazu schon in der Kindheit gelegt, wenn Eltern oder weitere Bezugspersonen uns aus eigener Unsicherheit Fehler als etwas vermitteln, was unbedingt zu vermeiden ist oder – andersherum formuliert – uns einschärfen, immer alles “richtig” zu machen, am besten “perfekt” zu sein. Statt zu lernen, dass man Fehler machen darf und dass “richtig” oder “falsch” oft keine sinnvollen Kriterien sind, entwickeln sie Angst vor Fehlern und das prägt ihr Verhalten. Der Anspruch an die eigene Perfektion geht manchmal so weit, dass “etwas falsch machen” schlichtweg nicht vorstellbar ist, nicht vorkommen darf. Manche Menschen sind überzeugt, ohne Anerkennung anderer nicht überleben zu können und glauben, dass diese ihnen entzogen wird, sobald sie einen Fehler machen. Um also in der Gunst ihres Umfeldes nicht zu sinken, müssen sie ihre Fehler verbergen, leugnen oder “weiterleiten”. Der Fehler an sich wiegt so schwer, dass sie sich, wenn sie ihn zugeben, der Gefahr aussetzen, als Versager dazustehen und abgelehnt zu werden. Wieder andere mussten in ihrer Jugend als Sündenbock für alles Mögliche herhalten, tragen Vorwürfe und Beschuldigungen mit sich herum und fühlen sich noch heute schnell kritisiert oder gekränkt, wenn bestimmte Sätze fallen wie “Wieso hast du …?”, “Wie konntest du nur …?”oder “Du hast wieder mal …”.

Leichtere und schwere Fälle

Menschen, bei denen immer die anderen schuld sind, sind oft schlecht fassbar, schwer einzuschätzen, wenig verlässlich und ziehen sich immer irgendwie aus der Affäre. Und genau das ist ihr Ziel, auch wenn es ihnen nicht bewusst ist. Manche machen das sehr charmant, so dass man ihnen kaum böse sein kann. Andere weichen in Gesprächen ständig aus, wenn sie das Gefühl haben, “festgenagelt” zu werden oder tauchen unter, wenn es für sie brenzlig werden könnte. Die “Experten” drehen den Spieß um und suchen gezielt Fehler oder Schwächen bei anderen, die sie ausnutzen können, um von sich selber abzulenken, oder gehen gleich zum Gegenangriff über: “Wenn du … nicht …, dann wäre das nicht passiert.”

Der Haken an der ganzen Sache ist allerdings, dass die wenigsten Menschen verantwortlich sein wollen für das, was ein anderer zu verschulden hat, und sich ungern den “Schwarzen Peter” zuschieben lassen. Beziehungsfördernd ist ein solches Verhalten sicher nicht.

Wohin kann fehlendes Schuldbewusstsein führen?

Ein Mensch, der nicht schuld sein kann, (miss-)braucht andere Menschen, die oft genug für ihn den “Kopf hinhalten” müssen. Interessanterweise betrifft das nur negative Erlebnisse, positive Ereignisse werden problemlos sich selber zugeschrieben, Mitwirkende gar außen vor gelassen. Auch ein ehrlich gemeintes “Danke” kommt bei ihnen nicht vor. Manche dieser Menschen betrügen sich selbst oder machen sich etwas vor, fühlen sich nicht ernst genommen, nicht richtig wahrgenommen oder gegenüber anderen benachteiligt. Auf jeden Fall präsentieren sie ihrem Umfeld eine Person, die sie nicht sind, und setzen unterschiedliche Masken auf, je nachdem, in welcher Umgebung sie sich gerade befinden. Das Bild, das sie von sich vermitteln wollen, darf auf keinen Fall durch eigenes Verschulden beschädigt werden.

Trifft man auf Menschen, die jahrzehntelange Übung im Leugnen von Schuld haben, kann es besonders unangenehm werden. Sofern sie ebenso lange keine Sanktionen für ihr Verhalten erfahren haben, entwickeln sie eine grundsätzliche Rechtfertigung, eine Art Freibrief für ihre Machenschaften bis hin zu einer Sondermoral und gleichzeitig eine hervorragende Wahrnehmung für alles, was bei anderen Menschen an Schwächen, Fehl- oder Minderleistung auftritt und nutzbar sein könnte. Kein Vorwurf ist ihnen zu abwegig, keine Ausrede zu albern. Die schönste Freude, die man ihnen machen kann, ist ein Missgeschick, einen Fauxpas zu begehen, auf ein Hindernis zu stoßen oder irgendwie außer Gefecht gesetzt zu werden, dann bricht sich Schadenfreude Bahn, da kann man solche Leute, die ja meist schlecht gelaunt und latent aggressiv daherkommen, auch schon mal kurzfristig fröhlich erleben. Klar, sie sind ja dann tatsächlich nicht schuld!

Ganz raffinierte “Schuldabweiser” projizieren eigene Defizite auf andere und kritisieren sie dort. Im privaten Bereich “arbeiten” sie gerne mal mit emotionaler Erpressung und machen Partner, Eltern oder Geschwister für ihr (Un-)glück verantwortlich. Trifft man sie in Unternehmen womöglich auf Führungsebene, herrscht meistens Angstkultur um sie herum. Druck und Einschüchterung sind die Führungsinstrumente, da wird jeder Fehler, jedes Vergehen, jede Unzulänglichkeit in Dossiers gesammelt und bei Bedarf hervorgeholt. Wer als “Zielscheibe” in den Fokus gerückt ist, muss jedes Wort auf die Waagschale legen, nie weiß man, wie die eigenen Sätze ankommen, wie sie zerpflückt und wie einem die Worte im Mund herum gedreht werden. Und wenn sich kein konkretes Vergehen finden lässt, bleibt immer noch das Ausweichen auf die “Gefühlsebene” (“Ich fühle mich von dir verletzt.”), denn Gefühle sind weder beweispflichtig noch widerlegbar. Provokationen werden gezielt eingesetzt, um den anderen so dastehen oder reagieren zu lassen, dass er mit Recht verurteilt werden darf. Im Gegenzug achten die An-nichts-schuld-Seienden darauf, selber unberechenbar zu sein und vermeiden eigene konkrete Einlassungen und Festlegungen und am besten auch eigene Aktivitäten, denn dann wären sie ja “bewertbar”, also – nach ihrem Verständnis – angreifbar. In Unternehmen kann das wirtschaftliche Konsequenzen haben, wenn sich Mitarbeiter in ihrem Handeln nicht mehr daran orientieren, was von der Sache her sinnvoll ist, sondern daran, was sie tun oder unterlassen müssen, um keinen Ärger zu bekommen.

Wer immer nur die Schuld woanders sucht, jammert und sich bedauern lässt, provoziert und gegenschießt, wird an seinem Befinden nichts ändern wollen und zementiert damit seinen Status quo. Keine Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, sie quasi zu delegieren, ist bequem und entlastet, hat aber Nachteile: Man fühlt sich Situationen ausgeliefert, nimmt vieles persönlich, hat das Gefühl, sich schützen zu müssen – aber natürlich wieder auf Kosten der anderen.

Wie geht man mit “Schuldabweisern” um?

Menschen, die keine Fehler zugeben können, sind eine Herausforderung für ihr Umfeld, privat und beruflich. Der Umgang mit ihnen kostet Kraft und ist nicht immer von Erfolg gekrönt. Statt immer wieder jede einzelne Eskalation zu bewältigen, empfiehlt sich eine zentrale Überlegung: Wie wichtig ist mir die Beziehung zu diesem Menschen? Will oder muss ich sie aufrechterhalten oder kann ich sie “kündigen”? Sollte der Umgang auch weiterhin nötig sein, tut man sich keinen Gefallen, wenn man sich auf die Verhaltensweise des Schuldabweisers einlässt, er wird immer gewinnen. Der beste Weg ist, den eigenen Kurs zu fahren, seinen eigenen Wirkungsbereich zu kennen und die eigenen Stärken einzusetzen, weil man dann am wenigsten angreifbar ist und am besten agieren kann. Dabei gleichermaßen klar und deutlich wie vorausschauend kommunizieren und mit eigenen Fehlern offen umgehen, um das Gefühl des Angriffs zu vermeiden. Und wenn alles nichts hilft: aus dem Weg gehen oder eine Beziehung beenden, auch wenn’s schwer fällt.

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Diese Thematik kommt aus unserer eigenen Praxis. Wir – die Trainer der hyperSKILL GmbH – haben immer wieder solche Fälle und begleiten unsere Kunden dabei, den für sie richtigen Weg zu finden, Situationen erfolgreich zu bewältigen. Pauschalrezepte sind ja immer schwierig, denn jeder Mensch ist anders und was dem einen hilft, muss für den anderen noch lange keine gangbare Option sein. Daher haben wir unsere eigene Methodik und insbesondere unser hyperSKILL Reflexionsmodell entwickelt, mit dem sich herausfinden lässt, was eigentlich für einen selber “richtig” und damit auch machbar ist.

Falls Sie gerne tiefer einsteigen und eine Lösung finden wollen, weil Sie mit einer entsprechenden Problematik zu tun haben oder einen effektiven Zugang zu Selbstreflexion suchen, kontaktieren Sie uns! Wir empfehlen als Einstieg die Selbstkenntnis oder eine Situationsanalyse.