von Sabine Stadler.
Mancher hat es schon selbst erlebt: Man trifft Kollegen, Freunde oder Verwandte, mit denen man vielleicht länger nicht in Kontakt war, und stellt fest, dass diese plötzlich “komisch” sind, ja einem sogar “feindselig” gegenüber auftreten. Man wundert sich und sucht nach einer Erklärung: Habe ich etwas falsch gemacht oder jemanden verärgert? Unter Umständen wird man sogar mit Vorwürfen konfrontiert, womöglich über Dinge, die entweder völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurden oder überhaupt niemanden etwas angehen. Und ganz instinktiv versucht man, sich zu verteidigen, dabei weiß man erst mal gar nicht, warum, wofür und gegen wen?
Mobbing kann in ganz unterschiedlichen “Verkleidungen” auftreten. Wenn Mobbing “gut gemacht” ist, kann es sogar sein, dass man eine Zeitlang gar nicht mitbekommt, dass man gemobbt wird. Der versierte Mobber ist nämlich oft “maskiert”, als Wolf im Schafspelz sozusagen unterwegs. Er zeigt sich nach außen als freundlicher Zeitgenosse und streut hinterrücks geschickt gezinkte Informationen, die den Betroffenen außer Gefecht setzen, zu falschem Handeln verleiten und ihm schlimmstenfalls erheblichen Schaden zufügen. Langjährige Mobbing-Experten legen parallel mehrere falsche Fährten, so dass der Betroffene auch noch gegen unterschiedliche Informationsstände kämpfen muss. Gleichzeitig sammelt der “Opfer-Täter” – denn als Opfer inszeniert er sich meistens – Kollegen, Freunde oder Verwandte als Verstärker – im Idealfall solche, die genauso ticken oder unter denselben “Nachteilen” leiden wie er – also gleichgesinnte Mitmacher -, andere muss er erst noch entsprechend manipulieren.
Warum mobbt jemand?
Es wird viel geschrieben über Mobbing. Die google-Suche ergibt 3,8 Mio Treffer. Man könnte davon ableiten, dass viele Menschen betroffen sind und Mobbing in vielen verschiedenen Kontexten vorkommt. Die eigene Erfahrung zeigt: Mobbing kommt im unternehmerischen Umfeld, in der Politik und in Familien vor und so unterschiedlich die einzelnen Fälle sind, es gibt immer auch Gemeinsamkeiten:
- Der Mobbende handelt meistens aus einem Gefühl der Schwäche heraus: Wer einen (vermeintlichen) Mitbewerber um eine Position, einen materiellen Vorteil oder die Gunst eines Dritten unschädlich machen möchte, sich aber fachlich oder persönlich aufgrund eigener Defizite nicht mit ihm messen kann, der bevorzugt den “energiearmen” Weg des Schlecht-Redens oder Lächerlich-Machens, des Diskreditierens, des Verbreitens falscher Tatsachen, des Schikanierens, der Ausgrenzung etc. Man muss dabei berücksichtigen, dass die Definition von “Schwäche” oder des jeweiligen Defizits zunächst einmal bei demjenigen liegt, der sich sozusagen unfairer Mittel bedient. Das macht es für eventuelle Opfer oder Außenstehende natürlich schwierig, die Aktivitäten des Anderen richtig einzuordnen bzw. die Zeichen richtig zu deuten, weil sie die Einschätzung womöglich gar nicht teilen oder weil das, was sich abspielt, ihr eigenes Vorstellungsvermögen weit übersteigt. Kinder (aber auch nicht nur die) beispielsweise mobben schon mal Mitschüler, die einfach nur “anders” sind – in Aussehen, Herkunft, Fleiß, Intelligenzgrad, (Un-)Sportlichkeit etc. – weil sie mit dem “anders” nicht zurechtkommen.
- In der Regel liegen in der übergeordneten Organisation ein Konflikt, ungünstige Machtverhältnisse oder ungeklärte Verantwortlichkeiten in Verbindung mit unzureichender Kommunikation vor. Diese “Organisation” kann ein Unternehmen, eine Abteilung, eine Familie, ein Verein, eine Schulklasse o.ä. sein. Ein Vorgesetzter beispielsweise, der seinen Mitarbeitern Verantwortung als Gesamtpaket übergibt, ohne die einzelnen Zuständigkeitsbereiche zu kommunizieren, sieht sich nach einiger Zeit womöglich einem verdeckt ausgetragenen Machtkampf ausgesetzt. Dass sich das nicht unbedingt günstig auf die Arbeitsergebnisse auswirkt, liegt auf der Hand: Die Energie der Mitarbeiter fließt ja hauptsächlich in den Kampf!
- Die Gemobbten liefern nicht selten die Vorlagen dazu, was ihnen jedoch in der Regel nicht bewusst ist. Hier Ursachenforschung zu betreiben, bedarf allerdings kompetenter und einfühlsamer Unterstützung.
Was also tun?
Nicht zu lange abwarten! Verständlicherweise befindet man sich in der akuten Mobbingsituation emotional im Ausnahmezustand und neigt schon mal dazu, die Situation falsch einzuschätzen oder überzureagieren. Am besten sucht man sich Hilfe: einen unvoreingenommenen Dritten, der zu dem Fall möglichst keine Verbindung und damit keine eigenen Interessen hat. Ganz wichtig ist eine genaue Analyse des Mobbing-Sachverhalts, denn von ihr hängt ab, wie der Lösungsweg aussehen sollte.
Während der Analyse-Phase geht es vor allem darum, zu erkennen, wer mobbt, wie jemand mobbt – offensichtlich oder im Verborgenen, mit oder ohne Publikum – und warum er mobbt: Will er etwas erreichen oder etwas vermeiden oder verhindern? Es geht außerdem darum, den Kontext richtig abzustecken: Ist der Mobbingfall auf eine bestimmte Situation begrenzt oder “global”? Handelt es sich um eine Sach- oder eine Beziehungsfrage? Welche Zusammenhänge und Auswirkungen spielen eine Rolle? Welche Hinweise finden sich in der Situation des Mobbers bzw. wo liegt überhaupt sein “Energieverlust”?
Der erste Impuls in Richtung Gegenmaßnahmen ist oft, sich an eine höhere Instanz zu wenden, nach dem Motto: Da muss es doch jemanden geben, der mich schützt oder mir Recht gibt. Leider stellt sich dann heraus, dass die höhere Instanz – sofern überhaupt vorhanden oder zu ermitteln – entweder überfordert ist oder sich für nicht zuständig erklärt. Juristische Maßnahmen sind meistens nicht sehr vielversprechend, dafür langwierig und unangenehm, man muss also schon selber aktiv werden. Ganz wichtig: Überlegen, was das eigene Ziel ist – ohne roten Faden keine eigene Strategie! Hat man selbst als Betroffener ggf. die Verantwortung irgendwann aus der Hand gegeben? Die Aktivitäten des Mobbers daraufhin prüfen: Was schadet einem, was nicht. Was kann man ignorieren, wo sollte man reagieren. Und wie kann man die Reaktion in Aktion umleiten, also selber zum Handelnden werden, den Mobber in die Reaktion zwingen und so die Verantwortung wieder selber übernehmen.
Über eines sollte man sich klar sein: Nichts tun bedeutet zustimmen. Der Mobber sieht sich bestätigt und macht ungehindert weiter. Auch Mitleid sollte man mit dem Mobber zu keiner Zeit haben! Er wird dieses sofort als Instrument aufnehmen und zu seinen Gunsten verwenden. Ein Mobber hat stets nur seine eigene Befindlichkeit im Blick! Das immerhin könnte man sich von ihm abschauen: Sich nicht zermürben lassen, sondern auf die eigenen Stärken konzentrieren und das eigene Ziel verfolgen – zur Sicherheit mit Unterstützung!